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05.Wer sind Mr. & Ms. Warum

in

• SHORTSTORIES
25.07.2018 13:09
von Evelucas • 550 Beiträge | 2242 Punkte






Evelucas

Wer sind Mr. und Ms. Warum?
Mal fragen kann nicht schaden, oder doch?...



»Warum ist der Himmel blau?«, fragte er.

»Warum willst du das wissen?«, fragte sie und begann den Boden zu schrubben.
Ich musste lachen, denn beides konnte auch ich nicht zur vollen Zufriedenheit der Beiden beantworten. Obschon mir durchaus bewusst war, dass dieses Blau am Himmel, die Lichtreflexion der Sonne, auf der Atmosphäre unserer Erde ist, die wiederum aus mehreren Schichten besteht. Das konnten die Menschen damals aber noch nicht wissen. Gerne hätte ich ihnen das jetzt mitgeteilt, aber das ging natürlich nicht.
»Warum bin ich überhaupt überzeugt davon, dass der Himmel blau ist?«, fragte Mr. Warum da wieder.
»Warum stellst du solche Fragen, wäre es dir lieber er sei rot?«, entgegnete Ms. Warum jetzt entnervt.
Hm, dachte ich da bei mir. Denn genauso sah der Himmel doch auch manchmal aus. Das hätten die aber schon wissen müssen, wenngleich sie nicht hätten erklären können, warum. Heute weiß man aber natürlich, dass unsere Atmosphäre das Licht der Sonne in ganz unterschiedlichen Farben reflektiert. Abhängig von Tageszeit, Ort und von wo aus der Himmel gerade betrachtet wird sowie von unserem vorhandenen Farbverständnis.
Andererseits ist es auch gerade dieses Farbverständnis, das es ohne Überlieferung nicht gäbe. Man musste uns ja zuerst mal beibringen, dass Blau, Rot, Gelb, Grün – also alle uns bekannten Grund-Farbwahrnehmungen – auch blau, rot, gelb und grün bedeutet.
Sogar die Definition dessen, als Farben, wurde uns erst beigebracht. Für andere Lebewesen ist das nicht wichtig. Bleibt also immer noch die Frage offen, was ich als Mensch überhaupt wissen kann? Im Grunde kann ich ja nur aussagen, wie ich gewisse Dinge, so wie bestimmte Farben, wahrnehmen. Ob sie aber wirklich so sind, wie ich das wahrnehme, oder ob diese von anderen Lebewesen auch so wahrgenommen werden können, bleibt offen.
»Warum denkst du überhaupt nach?«, wollte Ms. Warum da wissen. »Das nervt«, fügte sie dann hinzu und schrubbte den Boden intensiv weiter.
»Warum nicht?«, konterte Mr. Warum. »Tust du auch. Weshalb solltest du sonst fragen?«
Ha, dachte ich erfreut. Darauf kenne ich die Antwort. Der Mensch will eben verstehen wie die Welt über, unter, links und rechts von ihm, samt Mitmenschen und all der anderen Geschöpfen um ihn herum funktioniert. Und denken ist unser, speziell auf diese Lebensform, am besten abgestimmte und funktionstüchtigste Werkzeug, um auch die Welt um uns best möglich wahrnehmen zu können. Dadurch sind wir im Stande, uns immer wieder an, etwaige sich stetig wandelnde Gegebenheiten gut anzupassen. Ohne Denken, keine Fragen, keine Antworten – kein Geist, kein Verstehen, kein lebender Mensch.
Oh ähm, Moment mal ...
»Warum ist der Mensch eigentlich wichtig?«, murmelte Mr. Warum gerade.
Ms. Warum schnaubte wütend.
»Warum sollte überhaupt von Bedeutung sein, dass irgendetwas denkt oder lebt, wie du?, kam da auch schon die entnervte Gegenfrage, während es langsam so aussah, als würde sie den Boden nicht nur noch schrubben, sondern regelrecht ausradieren wollen.
Na zumindest bekam sie dafür mal etwas mehr Aufmerksamkeit von ihrem Mann. Denn diese Konterfrage wühlte ihn erst so richtig auf. Erst als er ihr daraufhin beim Schrubben zusah, während sie sich mit verbissenen Lippen viel zu sehr hineinsteigerte, verlor er sein Interesse leider wieder. Ihre Frage, blieb jedoch unbeantwortet im Raum stehen.
Du liebe Zeit!, dachte ich da bei mir. Einen Warum-Sinn für den denkenden Menschen selbst zu definieren, dass war eine harte Nuss. Denn wer behauptete denn, dass eine Welt ohne denkenden Menschen, eine schlechtere wäre? Wo kein Mensch oder etwas anderes bewusst Denkendes wäre, gäbe es nämlich auch nichts, dass sich über etwas Schlechtes oder Gutes überhaupt noch Gedanken machen, beschweren oder freuen könnte.
Ein hässlicher Stein, ohne Wertung meinerseits oder jemanden sonst, wäre einfach nur ein Stein. Weder gut noch schlecht, weder schön noch hässlich. Ja, vermutlich wäre er noch nicht einmal ein Stein, sondern gar nichts scheinbar Erkennbares, denn es gäbe ja dann nichts Sinn-Bewusstes mehr, das diesem WAS, überhaupt noch irgendeine Bedeutung zugestehen würde. Nichts wäre genau genommen noch von Bedeutung, ohne diesem menschlichem Geist, für den Bedeutung an sich erst bedeutsam ist.
Und auch Mr. Warum kam scheinbar gerade zu diesem Schluss.
Dummerweise hatte er leider kein glückliches Händchen dafür, diese Gedanken auch seiner Frau gegenüber sonderlich einfühlsam auszudrücken.
»Warum genau schrubbst du also den Boden? Ohne bewusstem Element, das in diese Tätigkeit Bedeutsames hineinzudenken fähig ist, wäre das dann auch bedeutungslos«.
Ms. Warum hielt abrupt inne. Langsam richtete sie sich auf, wandte sich ihrem Mann zu und lächelte plötzlich zähnefletschend. Allerdings mehr einer wütenden Wölfin gleich.
Und wäre Mr. Warum nicht gerade so derart in seine rätselhaften Fragen und Gedanken verstrickt gewesen, hätte wohl auch er diesen wilden Glanz der Furie, in ihren Augen erspäht. Das wiederum, hätte ihn dann auch vor dem gewarnt, was schlussendlich folgte.
»Weißt du was ...«, erwiderte Ms. Warum da angespannt, während sie nun in stoischer Ruhe den schweren Holzkübel voller Schmutzwasser hochhob.
»Warum scherst du fauler Sack dich eigentlich nicht zum Hades!«, explodierte sie jetzt, goss den gesamten Inhalt des Kübels schwungvoll über Mr. Warum aus und jagte ihn – den Schrubber bedrohlich über ihren Kopf schwingend – auch schon zornig zeternd fort.
Plötzlich stand Mr. Warum triefend nass, allein auf der Straße, begriff nicht ganz, wie ihm geschehen war, schien aber auch darüber weder geschockt, noch entrüstet zu sein.
»Interessant«, murmelte er stattdessen. Und fragte sich schließlich nur ...
»Warum wohl reagiert Mensch so aufgebracht auf die mögliche Bedeutungslosigkeit seiner Existenz, Tätigkeiten oder sein Leben an sich? Vielleicht aus Angst? Und wenn ja, Angst wovor denn?«

Und schon überschlugen sich meine Gedanken wieder. Irgendwie wurde es immer schwieriger auf Mr. Warum‘s Fragen Antworten zu finden.
Da fiel mir ein, vielleicht machte es dem Menschen an sich Angst, sich einzugestehen, nur eine biologische Laune des Zufalls zu sein? Sowie die Schöpfung als Ganzes. Und irgendwie konnte ich das sogar verstehen. Ich meine, was wäre unsere Welt uns noch wert, wenn unsere Art, etwas wertzuschätzen, sich dadurch auch als sinnlos herausstellen könnte? Welche Bedeutung hätte unser Leben noch, ohne diesem Lebenswert-Verständnis, entsprechend unserer Vorstellung und Wahrnehmung. Oder gar der Tod, ohne unserem Bewusstsein dafür?
Den gäbe es ja auch nicht mehr, aus unserer Sicht, denn das würde zuerst ein lebendiges Verständnis, wie das Unsere, dafür voraussetzen, ohne diesem, wir schlicht nicht wüssten, überhaupt des Sterbens fähig zu sein.
Soll heißen, in einer Wahrnehmungs-Welt ohne Wertung, ohne Vergleiche, also von sinnloser Existenz, wäre damit selbst der Tod, ähm ja, also halt tot, beziehungsweise bedeutungslos für uns.
Hm, hat sich der Mensch deshalb Götter erschaffen?

»Warum gibt es also Religionen? Welchem Zweck dienen sie überhaupt?« fragte sich Mr. Warum jetzt.
»Und warum, gibt es sie nur unter Menschen?«, fügte er seinen Gedanken sogleich hinzu.

Wäre ich jetzt Theologe, würde ich darauf antworten: Weil nur der Mensch dazu in der Lage ist, sich der höheren Macht einer Gottheit bewusst zu werden.
Zum Glück bin ich kein Theologe. Deshalb war ich mir aufgrund meines zuvor schon so erfolgreichen, metaphysischen Höhenflugs sogar ziemlich sicher, echte Antworten darauf zu kennen. Denn es konnte fast nur die menschliche Angst vor der Sinnlosigkeit einer rein biologischen, nur zufälligen Lebensform, für all diese Götterreligionen verantwortlich sein. Das war doch ganz logisch.
Denn würde der Mensch den rein biologischen Gedanken seines Daseins nur im Ansatz, als einzig mögliche Wahrheit akzeptieren, müsste er sich im Zuge dessen auch damit abfinden, dass auch nur er, überhaupt Sinn braucht, nämlich aufgrund seiner hormonellen Biologie, die insbesondere auch für des Menschen Gefühle verantwortlich ist, welche wiederum Gedanken & Erkenntnisse im Gehirn auslösen, die dann von sogennenten Neurotransmittern, in ganz bestimmte Gehirnregionen transportiert werden und dort ebenso irrtümlich, als auch vernünftig, beziehungsweise, komplett missverständlich für uns ankommen können.
Ohne den Menschen und seinen tollen, einfallsreichen Hormonen und Neurotransmittern usw. gäbe es also noch nicht einmal die Frage nach einem Sinn an sich für diese Welt, schon gar nicht von solch hoher Bedeutung.
Das wiederum hieße dann also auch, dass nur der Mensch selbst jener wäre, der seinem Leben überhaupt Bedeutung zu geben fähig ist, während es dem Rest der Welt, fernab aller Menschen, völlig egal wäre, welchen Sinn dieser einzelne Mensch für sich und sein Leben "erfunden" hat.
Daraus resultierend müsste er sich dann nur leider auch eingestehen, tatsächlich ganz allein für sich und sein Handeln verantwortlich zu sein, was ihm noch mehr Angst machen würde. Zwangsläufig muss somit also etwas her, dass ihm diese derart bedeutsame, also für ihn auch höchst beängstigende Bürde abzunehmen gewillt wäre.
Die Erfindung von Religion ist dafür bestens geeignet. Eine solche beinhaltet ja immerhin eine großzügige Auswahl überirdischer Geschöpfe – welche wiederum vom Menschen selbst erfunden worden waren – die ihn dafür äusserst gewillt von vielerlei Verantwortlichkeiten zu erlösen vermochten.
Und das Allerbeste daran, sie brauchten ihn, beziehungsweise seinen Glauben, um überhaupt existieren zu können. Da bekam doch sogleich der Mensch selbst und zwar ganz allgemein, plötzlich einen höheren Sinn. Solange er nämlich an seine Erfindung, sein Götter, glaubte, durften diese existieren und belohnten dafür wiederum den gläubigen Menschen durch ihren mutmaßlichen Schutz.
Dazu gehört natürlich auch, dass die einen Menschen, die anderen, die nicht an dieselben Gottheiten glaubten, sogar abschlachten durften ohne deshalb ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Wie praktisch!
Und schon wurde der gläubige Mensch selbst, zum wichtigsten Werkzeug Gottes oder anderer Gottheiten, um zumindest für irgend etwas sinnvoll zu sein. Ja, sogar für die ganze Welt plötzlich Sinn zu machen.
Denn Gott – ganz gleich um wie viele Jahrtausende später er seinen vielen Vorgängern erst folgte – schuf den Menschen ja nach seinem Ebenbild, um die Welt zu erretten. Denn dieser Welt drohte nun plötzlich große Gefahr vom Teufel. Also dem vom Menschen selbst erfundenem Sinnbild für alles Böse, dem natürlich auch sämtliche Vorgänger Gottes dienten, so wie sämtliche Ungläubige oder anders glaubende bzw. denkende Menschen. Die waren zwar auch nach Gottes Ebenbild geschaffen worden, wussten es aber nicht und sind deshalb leider vom rechten Wege abgekommen. So ein Pech aber auch.
Klarer ausgedrückt: Mit der Erfindung Religion, um der Angst seiner eigenen Verantwortung und damit verknüpften Bedeutungslosigkeit seiner Existenz zu entfliehen, machte sich der Mensch unter dem strengen Blick eines nur für sich selbst geschaffenen, göttlichen Geschöpfes, plötzlich zum Mittelpunkt einer mystischen Märchenwelt.
Eine Welt, die sich ständig in einem Kampf zwischen Gut und Böse befinden muss, um den Menschen, überzeugend vorzugaukeln, sie würden dringend gebraucht, um überhaupt Sinn haben zu dürfen.
Ein Weltbild, beziehungsweise eine Vorstellung, die es ohne Mensch erst gar nicht gäbe. Da es nämlich ohne menschlichem Geist gar keine wertenden, vergleichenden oder verurteilenden Gedanken auf unserer Welt gäbe, so auch keine Götter.
Es gäbe in Wahrheit nichts Böses auf dieser Welt, ohne Menschen, die dieselbe doch überhaupt erst in Gut und Böse einzuteilen wünschen. Was noch dazu pure, willkürliche Ansichtssache ist, voll und ganz abhängig davon, auf wessen Seite man eben gerade steht?
Noch einfacher also ausgedrückt: »Ohne Mensch, keine Gedanken an Götter unterschiedlicher Betrachtungen. Keine Definition von gut und böse, keine Göttlichkeit oder Gottlosigkeit. Ohne menschliche Gedanken also, keine vergleichende, wertende oder verurteilende Welt und Gesellschaft, die nur auf unserer illusorischen Vorstellung von Gut und Böse erbaut wurde.«
Ja, so primitiv ist des Menschen Leben, dass er sich aus seiner Bedeutungslosigkeit heraus Illusionen zu schaffen gezwungen sah, um vor sich selbst bedeutender zu erscheinen.

Aber wird dadurch nicht plötzlich ALLES, nämlich wirklich ALLES um uns herum, im Grunde nur zu einer Frage des GLAUBENS, beziehungsweise des in etwas Be-Deutung Hineindenkens vom Menschen, ohne wirklichem Wissen, worüber auch immer?
Plötzlich wird klar, dass Religionen samt deren Gottheiten und allem, was wir vor diesem Hintergrund sonst noch so zu wissen glauben, purer Selbstbetrug sind. Eine Illusion unserer Wahrnehmung samt den damit einhergehenden Gewohnheiten und daran angepassten Denkstrukturen sowie Empfindungen.
Wir fliehen uns sozusagen in eine auf vielerlei von uns erfundene und aufgebaute Lügenwelt, die wir für wahr erachtet gelernt haben, nur um diese größte aller Lügen, auch als einzige Wahrheit priesen zu können, während wir uns in echter Wahrheit jedoch, gerade davor zugleich eigentlich wieder nur verstecken.
Vor jener klaren Erkenntnis nämlich, die uns nicht nur als Selbstlügner blamieren, sondern auch als bedeutungslos entlarven könnte? Zumindest in Hinblick auf die Welt an sich.
Wow! So gesehen ist der Mensch, im Verhältnis zu vielen anderen Lebensformen, also dann doch wieder einmal das Dümmste, was es auf dieser Erde gibt. Er ist nämlich auch der Einzige, der für diese Illusion sogar bereit ist, andere seiner Art zu zerstören, nur um bloß nicht mit seiner eigenen Bedeutungslosigkeit konfrontiert zu werden. Wie deprimierend.

»Warum aber ist der Mensch dann so ein mieser Schöpfer seines Seins?«, grübelte da nun auch Mr. Warum wieder, der immer noch nass, jetzt in Richtung Marktplatz schlurfte, während er eine schneckengleiche Spur durch die gepflegten und sauberen Gassen Athens zog.

Hm. Eine wahrlich berechtigte Frage, die man sich als Mensch viel öfter stellen sollte, bedenkt man, dass tatsächlich jeder Mensch, seinem Leben nur selbst Bedeutung und Sinn zu geben vermag, indem er stetig eigene und neue Wahrheiten zu schaffen befähigt ist. Wie man ja anhand seiner vielen Glaubenswelten schon mal ganz gut erkennt. Er formt sich seine eigene Lebensrealität, zumindest unter und über seinesgleichen. Daraus resultierend hätte sich der Mensch also auch einst viel liebenswertere Götter schaffen können.

Er hätte sich schönere Lügen von Bedeutung und wesentlich friedlichere Religionen schaffen können.
Er hätte sich gerechtere Gesetzte für diese gemeinsame Welt, die er mit seinesgleichen teilt ausdenken können.
Er hätte die Fähigkeit, dem Teilen und Schenken einen höheren Wert von Bedeutung zuzugestehen, als dem Wegnehmen und starrem Festhalten an seiner selbstzerstörerischen Habgier.
Er hätte sogar selbst darüber entscheiden können, Andere zu unterstützen, ganz unabhängig von deren Herkunft.
Er hätte selbst entscheiden können, lieber Leben zu schenken, anstatt zu nehmen.
Er hätte viel gerechter zu denken vermocht, anstatt ungerechtes Denken zu pflegen, und könnte sogar selbst darüber entscheiden, seinen Mitmenschen Vertrauen zu schenken, anstatt Misstrauen zu streuen.

Jeder Mensch hätte das von Anbeginn seiner Existenz tun können, jeder Einzelne. Und jeder Mensch, könnte das auch heute noch tun, jeder Einzelne.
Völlig unverständlich ist also ...
»Warum tut es der Mensch dann einfach nicht?«, wie Mr. Warum jetzt natürlich wissen wollte.
Einstweilen war er am Marktplatz angekommen und streunte zwischen den vielen Leuten umher, die eifrig darum bemüht waren höchst konzentriert ihren alltäglichen Geschäften und scheinbaren Pflichten nachzukommen.

Indessen kam mir der Gedanke – womöglich weiß der Mensch gar nicht, von welch großartigem Wert, sein eigenes, bedeutungsloses Lebendigsein wirklich sein könnte? Würde er sich selbst zum einzig sinnvollen Schöpfer, seiner eigenen kleinen Welt, seiner eigenen, bedeutungslosen Existenz bekennen, könne er diese nämlich auch ganz ohne Götter, wesentlich bedeutsamer für sich und sogar ein paar andere gestalten.
Wäre jeder Mensch einfach Willens genug, für seine Existenz selbst Verantwortung zu übernehmen, diese ebenso zu lieben und wertzuschätzen, wie derselbe stetig von sich behauptet die Gerechtigkeit, das Leben, seine Mitmenschen, ja sogar die Liebe selbst oder die Natur zu lieben, gäbe es bald keine Menschen mehr, die sich mit stolzgeschwellter Brust und freiwillig, unter ihrem eigenen Lebens-Selbst-Wert, an ein habgieriges System verkaufen würden – das ja auch wieder nur von ein paar wenigen Menschen einst erfunden wurde, die dieses wiederum für das "einzig richtige System" halten.
Hauptsächlich deshalb, da es ja eigentlich auch nur ihnen, diesen paar wenigen, wirklich etwas bringt.
Einem Menschen jedoch, den man aufrichtig liebt und wertzuschätzen versteht – wäre man auch nur selbst dieser Mensch – würde man so etwas doch niemals antun wollen, oder?

Da nickte Mr. Warum plötzlich und fragte sich erfreut.
»Warum ist mir das nicht schon viel früher eingefallen?«

Hey!, dachte ich da etwas pikiert. Was heißt da IHM? Ich war das doch, wenngleich aufgrund seiner Fragerei.
»Ach, und warum sollte das jetzt so sein?«, hakte Mr. Warum da plötzlich überraschend nach.

Das warf mich echt aus der Bahn.
Führte der Selbstgespräche mit einer Stimme in seinem Kopf, die zufällig dasselbe dachte, wie ich, oder wie zum Teufel war das denn jetzt möglich?
Seit wann sprachen fiktive Figuren mit ihren Schöpfern?
»Warum nicht? Ich habe es schlicht gerade satt, mir da ständig Gedanken eingeben zu lassen, die doch ohnhin nur durch mich, überhaupt einst in Deinen Geist Einzug fanden. Aber solange Du dich weigerst, vor deinen Lesern auch Farbe zu bekennen und den Namen der wahren Inspiration hinter diesem, deinen Gedankentext hier, zu nennen, fühle ich mich nun mal ausgenutzt. Das gefällt mir nicht und deshalb verschwinde ich jetzt einfach, zudem ich ja heute auch noch genügend wichtigeres in meiner Zeit zu erledigen habe. Ach ja und außerdem: Wer von uns hier gerade mit wem Selbstgespräche führt, ist wohl ebenfalls eher eine Frage des Blickwinkels!"

Argrrr ..., dieser ..., dieser ...! Ich raufte mir die Haare. Das ist doch geradezu unerhört! Was bildete sich der arrogante Mistkerl da eigentlich ein? Figuren aus einer längst verlorenen Vergangenheit schafften doch nicht mit ihren modernen, wiederbelbens-Erweckern an! Och, hätte ich doch jetzt nur auch so einen verfluchten Holzkübel voller Schmutzwasser. So wie Xanthippe, als sie diesen unverschämten Herren zuvor aus dem Haus scheuchte, denn dann ...
»... müsstest Du dir diesen, um mich loszuwerden, selbst über- beziehungsweise in den Kopf schütten, gute Frau! Und jetzt such dir gefälligst einen anderen Spielgefährten. Ich hab keine Lust mehr noch länger von dir, wie eine Marionette durch diesen Text geschleift zu werden. Also dann, Antio, Madame!«

Wie bitte? Versaut mir da jetzt gerade ernsthaft der eigene Protagonist meine philosophischen Höhenflüge?
Aber ..., da ..., das stimmt so nicht. Ich weiß genau, dass es so nicht zu enden hat!

»Oh, welch unweise Gedanken, dummes Frauenzimmer", lachte der mir jetzt plötzlich durch mein Gehirn. "Ich würde nie von mir behaupten, so etwas zu wissen. Denn ich weiß nur, dass ich im Grunde nichts weiß. Und wer weiß, dass er nichts weiß, der weiß in jedem Fall schon mal viel mehr, als der, welcher nichts weiß, einschließlich der Tatsache, das er nichts weiß. Schreib Dir das, Weib, zuerst mal hinter die Ohren, bevor Du mich das nächste Mal hier belästigst«.

»Na toll! Jetzt beleidigt mich der auch noch!«, regte ich mich nun lautstark auf.
»Ähm ... Schatz? Alles ok bei dir?«, holte mich auf einmal die Stimme meines Mannes aus der Geschichte.
Ich schreckte überrascht hoch und wurde mir plötzlich wieder meiner eigenen Realität und Gegenwart bewusst – oder eben dem, was ich normalerweise darunter verstand.
»Oh ... ähm, ja klar. Alles gut. Mich hat nur gerade dieser arrogante Sokrates, dieser machohafte, griechische Philosoph fürchterlich aufgeregt. Nicht genug damit, dass er mich zuerst beleidigt hat, versaut er mir jetzt auch noch meinen tollen Text. Ich hasse das«.
»Wie bitte? Der Sokrates?«, wollte mein Mann da wissen.
Ich nickte etwas geknickt.
»Ernsthaft jetzt? Du sprichst wirklich von jenem Philosophen, der um ca. 400 v. Chr. im antiken Athen lebte, eines Tages von seiner Frau Xanthippe vor die Tür gesetzt, und mit einem Kübel Putzwasser überschüttet wurde, weil er sich ihr gegenüber nicht nur zu frech benahm, sondern aus ihrer Sicht dabei auch noch fürchterlich faul war?«
Wieder nickte ich nur. Worauf zum Teufel wollte er denn hinaus?
»Ok, nochmal gaaanz langsam«, begann er erneut. »Du versuchst mir gerade ernsthaft zu erklären, dass du – als du hier an deinem Text geschrieben hast – soeben von einem Mann beleidigt wurdest, der in der Antike dafür berühmt war, selbst die Gebildetsten und Gelehrtesten seiner Zeit bloßzustellen? Beleidigt von jenem Mann, der Platons Lehrmeister war, bis er vom Rat der 500, ebenfalls in Athen, zum Tode verurteilt wurde, nachdem er keinerlei Bereitschaft zeigte, seine philosophischen Ansichten gegen den griechischen Götterkult zu ändern? Ein Mann also, der somit seit nachweislich 2500 Jahren tot ist?«
»Ja doch. Genau den!«, regierte ich entnervt. »Der mit dem Schierlingsbecher halt. Na und! Was willst du mir damit jetzt sagen?«, blaffte ich trotzig. »Dass ich durchdrehe und einen Psycho-Doktor aufsuchen sollte, oder so?«
Da schüttelte mein Mann nur mitfühlend den Kopf, schloss mich in seine Arme und erklärte mir schlicht.
»Oje, Dummerchen. Was hast du denn erwartet? Ich hätte dir gleich davon abgeraten, dich mit diesem 2500 Jahre alten Denker und Frauenverteufler anzulegen«.

Es folgte ein tröstendes Küsschen auf meine Stirn und danach ...

... mein dummes Gesicht …



Mehr SchreibElan Einzeltexte von unseren Autoren, findest du auch hier: Unsere Bücherstube / Shortstories


zuletzt bearbeitet 01.04.2020 14:53 | nach oben springen


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