Fremde Völker & Kulturen: "Schatten über Wounded Knie!" (A.C. Greeley)

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Fremde Völker & Kulturen: "Schatten über Wounded Knie!" (A.C. Greeley)

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03.09.2018 14:44
von Evelucas • 550 Beitr�ge | 2242 Punkte

aus dem Vorg�ngerforum durch Evelucas hierher �bernommen. Artikel geschrieben M�rz 2015, von A.C.Greeley

"Schatten �ber Wounded Knie!"
... oder was Annie Spotted Elk erz�hlt ...

Mai - 2012

Wind streicht sachte �ber das hohe, gelbgr�ne Gras. Wilde Blumen mit gelben und hellblauen Bl�ten wiegen sich sanft in der Brise. Die Sonne erleuchtet rings um mich herum die Pr�rie. In der Ferne schimmern die seltsam unheimlich anmutenden H�gel der Badlands.
Ich befinde mich in der Pine Ridge-Reservation in South Dakota, dem wilden Land der Oklala-Lakota.
Der Friedhof tr�bt sofort meinen Indianer-Enthusiasmus, sowie die Bettelei der Frau mit den angeblich f�nf Kindern. Entt�uschung macht sich breit.
�Was ist los mit eurem Stammesstolz?� Meine Frage ist an niemand bestimmten gerichtet. Ich spreche mit dem Wind. Oder doch nicht?
�Stolz macht nicht satt ...�, fl�stert mir jemand leise zu.
�Die Frau hat wirklich f�nf Kinder. Sie hat kein Licht in ihrem Haus.�
Mein Blick schweift ringsherum und bleibt an meinem Freund h�ngen, der au�erhalb des kleinen Friedhofes am Wounded Knee steht. Nein, er hat nichts gesagt. Aber wer dann? Verwirrt sehe ich mich um. Ein milder Luftzug streicht �ber meine Wangen.
�Du kannst mich nicht sehen ...�
Mein Blick schweift �ber das wogende Meer des silbrig schimmernden Grases.
�Ich kann dich aber h�ren. Wer bist du?�
Ein kurzes Schweigen, dann ein leises Lachen.
�Ich bin Annie Spotted Elk.�
Kurzes �berlegen meinerseits, dann nicke ich bed�chtig.
�Aus der Spotted Elk-Familie. Ihr seid ein gro�er Clan. Einer von euch war der gro�e H�uptling �Spotted Elk oder Bigfoot, wie auch immer.� Den Namen hatte ich schon �fters geh�rt. Er war dabei, als das Massaker stattfand.
Ich �berlege eine Weile, dann beschlie�e ich, mit diesem Geist zu diskutieren. So einfach will ich es den Indianern nicht machen.
�Okay, dann hat sie kein Licht, aber sie hat Kinder, sie ist jung genug um sich zusammenzunehmen und zu versuchen, etwas aus ihrem Leben zu machen. Wieso sind diese Kinder nicht in der Schule? Schulabschluss ist gut, dann hat man etwas, worauf man bauen kann.�
�Worauf sollen sie denn bauen? Sag es mir! Worauf? Auf den Alkohol? Sie leben in eine der �rmsten Gegenden von Amerika.�
�Keine Entschuldigung, tut mir leid, aber ihr habt Schulen! Nutzt sie einfach!�
Darauf folgt ein leises, etwas sp�ttisches Lachen. Ich �rgere mich ein bisschen dar�ber, doch entgegne nichts.
�Kennst du denn unsere Schulen?�
Ich sch�ttle mit dem Kopf.
�Nein, aber es reicht zu wissen, dass ihr welche habt.�
�Meinst du? Ich sag dir was �ber unsere Schulen. Die Grundschule wurde im Vorjahr geschlossen, weil die Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr gegeben waren. Elektrische Leitungen galten als gef�hrlich, die Sprinkleranlage funktionierte nicht, und wir hatten kein Geld um die notwendigen Vorkehrungen zu treffen. Die Mittelschule hat bauliche Sch�den, da kommen bereits Schlangen und Erdh�rnchen durch den Boden. Als die Schule gebaut wurde, enthielten Baumaterialien unter anderem Asbest. Jetzt tritt durch die Bausch�den Asbeststaub aus.�
Ich �berlege, was ich dazu sagen soll, w�hrend mein Blick zuf�llig an einem der kleinen Grabsteine h�ngenbleibt. Als ich den Grabstein n�her inspiziere, mache ich eine Entdeckung..
�Annie Spotted Elk, das bist wohl du! Geboren 1967, gestorben: 1984.� Sie wurde nur 17 Jahre alt!
��berrascht?�
�Du bist so jung gestorben�, stelle ich entsetzt fest.
�Ich bin freiwillig so jung gestorben. F�r mich gab es keine Zukunft.�
Fassungslos starre ich auf den Grabstein.
�Du bist freiwillig gestorben?�
�Ja, freiwillig und mit Bedacht� , haucht die Geisterstimme.
Betroffenes Schweigen macht sich breit. Suizid! Eine Siebzehnj�hrige hat sich einfach umgebracht, mit Bedacht.
Wieso macht man sowas?
�Ich bekam mit f�nfzehn ein Kind. Hatte keine Arbeit, lebte bei meinen Eltern und f�nf Geschwistern in einer kleinen Spanholzh�tte. Amerikanisches Fernsehen aber nicht genug zu essen. Reine Ironie, nicht wahr? Ich wusste nicht, was ich tun sollte.�
�Aber was ist mit dem Kind? Wie konntest du es hier zur�cklassen?�
Der Wind streicht um meine Beine, ich sehe eine umgefallene Plastikvase mit einer Plastikblume darin. Vorsichtig stelle ich sie auf. Mein Blick auf die Inschrift dieses Grabsteines l�sst mich erneut erstarren: Joyce Spotted Elk, geb. 1982, gestorben 1984.
�Sie starb in meinen Armen an Masern. Kurz darauf folgte ich ihr �ber den gro�en Fluss.�
Tr�nen treten in meine Augen. Ein Kind stirbt in unserer Zeit einfach so an Masern. Ich schlucke.
�Aber deine Eltern � konnten sie nicht helfen?�
Traurigkeit liegt in der Geisterstimme.
�Meine Mutter war nicht f�hig mir zu helfen, sie konnte sich nicht mal selbst helfen.� F�r wenige Sekunden schweigt die Geisterstimme, ehe sie leiser weiterspricht.
�Wei�t du, was Methamphetamine sind?�
Ich nicke. Speed, Drogen. Ersch�ttert �berdenke ich nochmal mein Vorurteil.
�Und dein Vater war ...?� Ich unterbreche meinen Satz, doch sie antwortet leise.
�Alkoholiker, er hat mich geschlagen. Meine Br�der, meine Schwestern und meine Mutter. Sie waren beide zu betrunken, zu s�chtig um uns in die Schule zu schicken, um uns zu erziehen. Ich habe t�glich gehofft, dass jemand kommt, und mich mitnimmt, mich von hier fortbringt. Doch ihr kommt nicht um uns zu holen, um zu geben. Ihr kommt, weil ihr etwas von uns wollt.�
�Was wollen wir, Annie? Sag es mir. Was glaubst du, wollen wir?�, frage ich mit leisem Protest in der Stimme.
�Ihr wollt einen Indianer kennenlernen. Am liebsten einen Medizinmann. Ihr wollt in einen unserer Clans aufgenommen werden, wollt euch entschuldigen, weil ihr euch schuldig f�hlt. Vielleicht wollt ihr auch helfen oder ihr wollt einfach einen Indianernamen. Einige wollen an unseren Zeremonien teilnehmen, doch eines habt ihr alle gemeinsam: Ihr wollt etwas von uns!�
�Ja, das stimmt�, lege ich nun auch los. �Ich will etwas von Wounded Knee wissen, will sehen, wo ihr lebt, aber ihr, ihr wollt auch etwas von uns�, f�ge ich ruhig, aber bestimmt hinzu. �Ihr wollt unser Geld, Mitleid. Ihr wollt, dass wir eure Armut erkennen, damit wir euch etwas geben! Doch ihr wollt so wenig wie m�glich daf�r tun! Also seid ihr nicht besser als wir. Ich habe vielleicht mehr Geld, aber ich spare zwei-drei Jahre, damit ich hierher kommen kann. Ich bin aus Europa. Das ist weit. Es ist mein Wunsch, hierher zu kommen, um euer Reservat zu sehen, etwas von dem Massaker zu h�ren und ich bin bereit, daf�r auf andere Sachen zu verzichten. Ich bin klarerweise auch bereit, etwas daf�r zu zahlen. Ich kaufe immer eure Handwerksk�nste. Schmuck, Traumf�nger, Puppen. Irgendwas, weil ich wei�, dass ihr daf�r etwas tut und es euch zugutekommt. Aber hier in diesem Teil eures Landes � hier wei� ich nicht genau, was ihr tut. Ihr zeigt uns nur die Schattenseite. Das ist mir ehrlich gesagt zu wenig.�
Mein Blick schweift �ber den einsamen Friedhof. Nachdenklich starre ich wieder auf die pinkfarbene Plastikblume auf dem Grab. Nicht einmal richtige Blumen stellen sie her.
�Diese Blumen welken niemals�, spricht Annie zu mir, als ob sie meine Gedanken liest �Und sie kosten fast nichts.�
Gut, das leuchtet mir ein. Der Punkt geht an sie. Es beruhigt mich irgendwie, weil es den Anschein erweckt, dass doch nicht nur Gleichg�ltigkeit und Resignation vorherrschen.
�Es hilft den Lebenden nicht, Geld auf diesen Friedhof zu lassen. Sie haben keines und wir weilen nicht mehr unter ihnen. Also nutzen uns echte Blumen auch nichts mehr.�
�Aber wieso bettelt ihr? Ihr habt Wounded Knee. Ihr habt ein Museum und ein Visitorcenter. Wieso ist es nicht offen? Es k�nnte ja jemand da drinnen stehen und uns etwas verkaufen. Ihr k�nntet Wounded Knee abz�unen und Eintritt verlangen, so wie es die Wei�en am Little Big Horn gemacht haben.�
�Wir k�nnten, glaubst du? Nein, wir k�nnen nicht. Es gibt kein Geld f�r Z�une, kein Geld, um etwas herzustellen, was man im Visitorcenter verkaufen k�nnte. Und Little Big Horn ist deswegen ein State-Park geworden, weil wei�e M�nner bei dieser Schlacht ums Leben gekommen sind. Aber wir hier haben kein Geld f�r all diese Materialien. Und die Wei�en vergessen uns, oder nehmen uns noch mehr.�
�Noch immer? Aber ich dachte, ihr bekommt F�rderungen, Wiedergutmachungen. Ist das falsch?�
�Wir bekommen F�rderungen, doch es reicht nicht. Das meiste flie�t in die gro�en Reservate im S�dwesten. Dort, wo die ganze Welt hinfindet. Grand Canyon, Aches, Monument Valley � ja, dort hat man was davon. Da flie�t Geld wie ein wasserreicher Fluss, doch wir hier, wir haben nur Wounded Knee. Wenige hegen ein gro�es Interesse daran, ein Massengrab zu besichtigen. Clinton hat seinerzeit damit angefangen unsere Gelder zu k�rzen, aber Pr�sident George W. Bush hat unsere F�rderung sofort um viele Millionen gek�rzt. Wir sind die Vergessenen, wir sp�ren es am deutlichsten.�
�Okay, aber dennoch, eine Frage bleibt offen: Wieso stellt sich keiner Ende Mai in dieses Museum hinein und ber�t uns Fr�htouristen? Dazu geh�rt nur ein Schl�ssel und die Person, die da drinnen steht � freiwillig nat�rlich, mit der Hoffnung, etwas Geld zu machen. Besser als betteln, oder?�
Annie schweigt, �berlegt scheinbar. Dann nach einer ganzen Weile antwortet sie.
�Darauf kann ich nur sagen: Wer hat die Kraft, diesen Schl�ssel zu suchen, ihn zu finden und dann hier aufzusperren? Um Geld bitten, geht immer, bei allen Touristen, im Sommer wie im Winter.�
�Ja, stimmt schon, aber betteln schreckt ab � verkaufen nicht. Ich bin Tourist und ich bin Mensch. Ich kaufe, wenn mir etwas sinnvoll erscheint. Jedes Mal bin ich daf�r, immer, und immer wieder, aber Bettlern weiche ich aus. Ich mach einen gro�en Bogen um sie. Mir tut es im Herzen weh, wenn ich lese, wie viele Kinder hier sterben, wie viel Jugendliche Suizid begehen, aber Annie, ich denke, ihr k�nnt noch, wenn ihr wollt. Unter euch 21.000 Einwohnern � wahrscheinlich seid ihr sogar weit mehr als das, muss es nur Einen geben, einen Einzigen der sich darum k�mmern will, dass etwas hier passiert. Denn dann bewegt sich was. Vielleicht bin ich blau�ugig, vielleicht sehe ich auch nur M�glichkeiten, die ihr nicht mehr erkennt. Ihr mit der hohen Kindersterblichkeitsrate, mit euren Alkoholikern, euren geschlossenen Schulen und euren nicht gen�gend vorhandenen Ressourcen. Aber ehrlich: Wo ein Wille, da ein Weg. Das ist meine Meinung.�
Darauf folgt nachdenkliches Schweigen.
�Auf Wiedersehen, Annie Spotted Elk�, fl�stere ich. �Es war interessant, mit dir zu sprechen und ich verstehe euch jetzt etwas besser, aber Resignation ist keine Option, so seh ich das nun mal. Tut mir leid! Leben kann Schei�e sein, aber es kommt immer darauf an, wie ihr diese Schei�e verkauft.�
Ich will nicht mehr h�ren, was ihr dazu einf�llt und gehe leisen Schrittes davon.

Nachwort:
Die Pine Ridge Reservation im S�dwesten South Dakotas ist das achtgr��te Reservat der USA, vor allem aber auch das �rmste. Pine Ridge ist ein Sinnbild f�r die Probleme, die in vielen Reservaten der Staaten entstanden sind. Hier treten sie so geh�uft und einpr�gsam auf, dass es zu einem traurigen Ausdruck der Schattenseiten des Lebens vieler amerikanischer Ureinwohner geworden ist.
Der Besuch dort f�hrt uns in eine fremde Welt, in der niemand so recht zu wissen scheint, welcher Feind hinter der n�chsten Ecke lauern k�nnte.

Dennoch finde ich, der allergr��te Feind ist die Resignation und der verlorene Indianerstolz, den ich aus dem S�dwesten und auch aus den Reservaten Oklahomas noch in lebhafter Erinnerung habe. Ich rate allen, die dort hinkommen und die sich betroffen anhand der deutlich erkennbaren Armut f�hlen, zu spenden, und zwar an die richtigen Konten.

Weiteres finde ich, k�nnen wir, wenn wir dort schon Urlaub machen, ohne weiteres etwas aus dem zertifizierten Indianerhandwerk kaufen, wie Schmuck, Traumf�nger oder diverse Web- und Kn�pfarbeiten. Denn das ist der richtige Weg ihnen wirklich zu helfen und einen betr�chtlichen Teil der dort vorherrschenden Korruption zu umgehen.

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zuletzt bearbeitet 06.09.2020 21:09 | nach oben springen